Chancen und Stolpersteine

Ruedi Baumann, Zugchef SBB
Ruedi Baumann ist Zugchef und seit 38 Jahren bei der SBB

Wie die Digitalisierung die tägliche Arbeit im Zug beeinflusst und wo es Potenzial für Verbesserungen gibt. Ruedi Baumann, Zugchef bei der SBB, erzählt aus dem Arbeitsalltag als Kollege und als Chef Kundenbegleitung. Das nachfolgende Interview gibt er aus eigener Erfahrung.

Ruedi Baumann kennt die SBB in- und auswendig. Seit 38 Jahren arbeitet er bei der SBB, er ist Zugchef und engagiert sich in verschiedenen Personalvertretungen. In einer Präsentation, die er dem Bistro digital zukommen lässt, schreibt Ruedi Baumann, die Digitalisierung biete «viele Chancen, aber auch Stolperfallen». Er schildert darin die Geschichte eines Kollegen, der sich während der Arbeit falsch verhalten hat. Nichts Gravierendes, aber ein Passagier hat die Szene gefilmt und online gestellt. Die SBB als Arbeitgeberin wurde daraufhin von sich aus tätig und eröffnete ein internes Verfahren, das zu einer Aktennotiz im Personaldossier führte. Für Ruedi Baumann ein Beispiel dafür, wie die Allgegenwart von digitalen Kommunikationsmitteln die Arbeit beeinflusst und wie Mitarbeitende und Vorgesetzte damit umgehen sollen – oder eben nicht.

Ruedi Baumann, was stört dich am Vorgehen der SBB im geschilderten Fall?

Störend ist, dass die SBB rein auf Basis eines Online-Videos ein Verfahren anstrengt. Der betreffende Passagier hat ja nicht einmal eine Beschwerde gemacht.

Aber der Kollege hat sich ja wirklich falsch verhalten.

Natürlich, aber dass der Arbeitgeber tätig wird aufgrund eines anonymen Beitrags ist zumindest fragwürdig. Auf jeden Fall bräuchte es Richtlinien, wann und wie die SBB tätig werden darf und wann nicht.

Haben solche Vorfälle einen Einfluss auf eure Arbeit?

Wir müssen uns daran gewöhnen, bei der Arbeit gefilmt zu werden, in vielen Zügen gibt es Kameras aus Sicherheitsgründen. Aber das ist reglementiert. Das Problem ist: Wenn uns Kunden ohne unsere Einwilligung filmen oder fotografieren und die SBB diese Aufnahmen verwendet, dann schafft das Verunsicherung. Im Extremfall führt es dazu, dass man nur noch den minimalen Dienst nach Vorschrift macht, um ja nichts falsch zu machen. Gerade in jüngster Zeit wurden Mitarbeitende mehrfach gefilmt. Die Forderung an die SBB, etwas dagegen zu unternehmen, wurde abgelehnt.

Wie beurteilst du den Umgang der SBB mit digitalen Daten?

Bei den Kundendaten ist es sauber geregelt: Es gibt Vorschriften und Schulungen und die Sensibilität ist hoch – zu Recht. Weniger klar ist, welche Daten die SBB von ihren Mitarbeitenden sammelt und wie sie sie verwenden darf. Ich hätte zumindest diesbezüglich nie eine Information oder eine Schulung erhalten.

Hast du ein konkretes Beispiel?

Auch hier wieder von einem Kollegen. Es gab eine Beschwerde beim Kundendienst, weil der Kollege die Abfahrerlaubnis zu früh gegeben hat. Dadurch verpasste ein Kunde anscheinend den Zug. Dieser meldete das dem Kundendienst. So weit, so gut. Der Kundendienst gelangte dann aber an den Vorgesetzten und hatte bereits die Daten des Zuges respektive des Mitarbeiters überprüft. Ohne diesen oder den Vorgesetzten zu informieren. Dass diese Daten registriert werden, ist klar. Aber: Soll der Kundendienst auf solche personalisierten Daten Zugriff haben? Ohne den Mitarbeitenden oder die Vorgesetzten vorgängig zu informieren?

Aber das sind letztlich doch Bagatellen, oder nicht?

Die Einzelfälle sind vielleicht nicht gravierend, aber das Problem reicht tiefer und die SBB ist kein Einzelfall. Es werden digitale Daten auf Vorrat gesammelt, ohne dass eindeutig reglementiert ist, was damit gemacht werden darf und was nicht. Ich habe noch ein Beispiel.

Bitte!

In unseren Pausenräumen gibt es neuerdings «Food Markets» von Selecta. Diese funktionieren ohne Personal und werden darum videoüberwacht. Das Problem ist: Die Kamera filmt nicht nur den Food Market, sondern weite Teile des Pausenraums. Was geschieht mit diesen Aufnahmen? Wer hat Zugriff? Das ist alles nicht geregelt. An einigen Standorten hat das Personal nun eine Petition gestartet, so kommt der Stein ins Rollen. Und es zeigt, dass unsere Kolleginnen und Kollegen sehr sensibel auf Fragen zu Datenschutz und Überwachung reagieren.

Aber die Digitalisierung kann euch als Mitarbeitende ja auch schĂĽtzen, zum Beispiel gegen falsche VorwĂĽrfe.

Ja, das stimmt. Grundsätzlich ist die Digitalisierung hilfreich bei der Arbeit. So hilft zum Beispiel die Kameraauswertung, wenn es im Zug wirklich mal einen Vorfall gibt.

Wie verändert denn die Digitalisierung die Beziehungen im Team?

Wir haben heute zum Beispiel zu den Vorgesetzten einen weniger persönlichen Bezug, man sieht sich schlicht nicht mehr so oft. Anweisungen kommen heute digital und man muss digital quittieren, dass man sie gelesen hat.

Ist das gut oder schlecht?

Es spart sicher Kosten. Aber bei der Qualität habe ich meine Fragezeichen, gerade in der Ausbildung. Heute sind Ausbildungen fast immer online, selbst die praktischen. Da geht viel verloren, weil es keinen Raum für Rückfragen oder informelle Gespräche gibt. Wenn ich ein neues Türsystem bedienen muss und dieses nur von einer Online-Schulung her kenne, ist das nicht dasselbe, wie wenn wir früher bei Schulungen selbst Hand anlegen konnten.

Zum Abschluss, was wĂĽnschst du dir von der SBB in Bezug auf die Digitalisierung?

Erstens, dass klarer geregelt wird, welche Daten von Mitarbeitenden gesammelt werden und was damit geschieht. Und zweitens, dass nicht immer nur finanzielle Sparüberlegungen im Zentrum stehen, sondern dass die Digitalisierung stärker genutzt wird, um unsere Arbeit zu erleichtern und den Service für die Kunden zu verbessern. Die Digitalisierung ist eine Chance, aber sie funktioniert nur, wenn alle auf den Weg mitgenommen werden, inklusive die Führungspersonen auf allen Stufen.

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